Es ist ein ganz gewöhnlicher Dezembertag in der kleinen Stadt Parsberg, wo sich, durchaus positiv gemeint, Fuchs und Hase gute Nacht sagen, weil es dort nämlich noch freundliche, gutgelaunte Füchse und Hasen gibt. Genauer gesagt ist es doch kein so ganz gewöhnlicher Tag, als sich die Tür zur Ergotherapiepraxis öffnet, in der Sarah arbeitet. Wenn ich es mir recht überlege, ist es auf den Tag genau der 5. Dezember 2024. Auch der Ausdruck „arbeiten“ ist völlig untertrieben, eine ungeschickte Beschreibung dessen, was Sarah mit Hingebung macht und der Fachkundige landauf, landab, die „wunderbare Heilkunst der Ergotherapie“ nennt. Doch zurück zur Geschichte.
An dem besagten Tag im Advent wird ein neuer Patient erwartet. Zur vereinbarten Zeit betritt ein älterer Herr mit langem Bart die Praxis, gekleidet ist er mit einem Mantel, am Kragen mit weißem Pelzbesatz. `Haha, bestimmt Kunstfellpolarfuchs` lacht Sarah innerlich, die gerade mit dem Checken der elektronischen Patientenakten beschäftigt ist und nur kurz aufblickt. Als Vegetarierin wäre es ja schlimm, gar nicht auszudenken: echtes Fell, nackte Polarfüchse. `Und es ist ja sooo kalt heute draußen`, witzelt sie weiter in Gedanken, `nene, kein Verlass mehr auf die Wetter-Apps, hört man in letzter Zeit immer wieder‘. Dann ruft sie dem Neuankömmling auf parsbergerische Art zu:
"Grüß Gott! Bitte nehmen Sie Platz, ich bin gleich bei Ihnen“, wobei ihr Blick den Ankömmling nur ganz nebenbei streift.
Der alte Mann legt den Mantel ab, setzt sich schwerfällig auf einen der Wartestühle und stöhnt leise. Nach ein paar Minuten bittet Sarah ihn höflich aber bestimmt ins Behandlungszimmer.
Wie war gleich wieder der Name des Patienten? Sarah überlegt angestrengt, irgendein Insekt… Fliege… nein, Käfer… nein,…
"So, was führt Sie denn zu mir, Herr Laus(?)“, fragt sie freundlich, nachdem ihr der Name endlich eingefallen ist. In Erwartung dessen, was der schon in die Jahre gekommene Mann für Beschwerden hat, nimmt sie ihr 10-Zoll-Tablett mit Eingabestift in die Hand. Der Besucher räuspert sich. "Nun ja, Frau Forster, ich habe da so einige Beschwerden. Wissen Sie, mein Beruf ist nicht gerade der einfachste."
Sarah nickt verständnisvoll und runzelt die Stirn. In welchem Bereich arbeiten Sie denn?"
"Äh, nun ja, ich bin sozusagen in der... äh... Geschenkeverteilung tätig", antwortet der Mann verschmitzt.
"Verstehe", sagt Sarah, eifrig mit dem Tablett beschäftigt, "und welche Beschwerden plagen Sie konkret?"
Der alte Herr beginnt aufzuzählen: "Also, da wären zunächst einmal diese schrecklichen Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich. Wissen Sie, das kommt vom vielen Schleppen der schweren Säcke."
Sarah notiert eifrig. "Mhm, das klingt nach einer klassischen Überlastung. Was noch?"
"Nun, in letzter Zeit habe ich auch Probleme mit der Farbwahrnehmung. Besonders Rot und Grün kann ich kaum noch unterscheiden. Das macht die Arbeit mit dem Schenken nicht gerade einfacher." „Ah, Sie schenken also aus, in einer Bar oder Kneipe, vermute ich - und verwechseln zum Beispiel Campari mit Escorial. In der Tat fatal, fatal. Will jemand einen Aperitif vor dem Essen, servieren sie Ihm stattdessen etwas angeblich Gesundes: Einen Kräuterlikör. Eine Rotgrünschwäche also, interessant. Das sollten wir vielleicht noch genauer untersuchen lassen", diagnostiziert Sarah fachkundig.
"Und dann wären da noch die Konzentrationsschwierigkeiten", fährt der bärtige Mann fort. "Ich vergesse ständig, wer welches Geschenk bekommen soll. Sie glauben gar nicht, wie peinlich das sein kann!"
„Was, sie verschenken auch noch die Getränke? Da wird sich aber Ihr Chef, ich meine Mitarbeiter, nicht gerade freuen“.
Sarah schmunzelt. "Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Gibt es sonst noch etwas?"
Der alte Herr seufzt, in einem spontanem Anfall von unbeholfener Witzigkeit: "Ich hab so schwere Beine, ich wollt` es wären deine, Frau Forster…, ach was, Sarah, ich sag` jetzt einfach du, in meinem Geschäft macht man das. Mich darfst du Niko nennen. Glaub mir Sarah, all die Treppen, all die winzigen Wohnungen, die Dachschrägen, an denen man sich den Kopf anhaut, es wird einfach zu viel."
Sarah ist zwar etwas überrumpelt, legt dann aber ihr Tablett und den Eingabestift beiseite und sieht ihren Patienten zum ersten Mal richtig an. "Das klingt wirklich nach einer Menge Beschwerden. Lass uns mal mit ein paar einfachen Übungen beginnen, Niko.“
Sie leitet durch eine Reihe von Dehnungs- und Entspannungsübungen. Währenddessen plaudert der alte Mann weiter.
"Weißt du Sarah, ich denke langsam ans Aufhören. Der Job ist einfach zu anstrengend geworden."
Ganz die Ergotherapeutin, die gerade dabei ist, seine verspannten Schultern mit Handkanten und Fäusten zu massieren, hält Sarah nur kurz inne. "Oh, das tut mir aber leid. Hast du denn schon einen Nachfolger im Auge? Einen Grauen Star sozusagen? Tut mir leid Niko, das Wortspiel musste sein, ist mein Humor, habe ich geerbt.“
„Kein Ding“, der alte Niko nickt eifrig. "Tatsächlich ja! Es gibt da einen, sagen wir mal Beinahe-Rentner, naja, einen beinahe Vollrentner also aus Neumarkt, der wäre perfekt für den Job. Er weiß hervorragend über Licht Bescheid, er kennt sogar den Unterschied zwischen Lampen und Leuchten. Ein Fachmann sozusagen, eine Fachfrau würde übrigens auch gehen, …na gut, der Bart, aber sonst?! Stell dir einmal vor, Sarah, Licht in jeglicher Form, bunt, einfarbig, hell, gedimmt, Christbäume, Weihnachtsbeleuchtung, punktförmig, flächig, in der heutigen Zeit gerne auch mal als Laser: Von Scheinwerfern ist der Typ beinahe besessen. Und wenn er mal nicht will, bockig ist, macht er einfach kein Licht. So einen Kerl suche ich. Außerdem hat er von Natur aus einen einigermaßen prächtigen, angegrauten Bart."
Sarah lacht. "Das klingt ja wirklich ideal. Wie bist du denn auf deinen Nachfolger in spe gekommen?"
"Nun, ich habe ihn zufällig entdeckt und beobachtet. Er ist etwas schrullig und brummbärig, aber das passt eigentlich ganz gut, vielleicht nennt er sich ja, wenn`s einmal soweit ist, genauso wie ich, das wäre aus Traditionsgründen sogar ganz gut: Niko Laus.
Sarah nickt abwesend, während sie weiter an Niko`s verspannten Muskeln arbeitet. Plötzlich hält sie inne. "Moment mal... Ein Beinahe-Rentner aus Neumarkt, lichtbesessen, Punktstrahler, Laser, angegrauter Bart, schrullig und brummbärig?"
Der alte Mann lächelt verträumt. "Ja, genau. Ich denke, der wäre perfekt für den Job."
Sarah tritt einen Schritt zurück und starrt ihren Patienten ungläubig an. "Aber... aber das hört sich verdam.., hallelujah nach Papa an!"
In diesem Moment fällt es ihr wie Schuppen von den - „schmunzel“ -Augenbrauen. Sie sieht den alten Mann vor sich genauer an - den roten Mantel, den weißen Bart, die freundlichen Augen. "Oh mein Gott", haucht sie. "Du bist... Du bist ja der Nikolaus!"
Der ältere Herr schmilzt unter Sarahs Fingern dahin, wie es normalerweise nur Schokoladennikoläuse in der gleichen Lage tun: "Hohoho, da hast du mich erwischt, Sarah. Ich dachte schon, du würdest mich gar nicht mehr erkennen."
Sarah lässt sich auf einen Stuhl fallen. "Aber... wie... warum...?"
Der Nikolaus lacht herzlich. "Nun, ich wollte sehen, ob du deinen alten Nikolaus noch erkennst. Übrigens, nachdem ich dich auch schon von Kindheit auf kenne, weiß ich, wie wichtig dir das Tierwohl ist: Ich habe tatsächlich schon lange auf Kunstfell umgestellt. Mantelkragen, Schlittensitz und so weiter, kannst dir ja vorstellen, wie erleichtert jetzt meine befellten Zugtiere sind, wobei ich ja nie eines von ihnen…, na, lassen wir das. Könntest du so nebenbei weiter an meinen Wehwehchen laborieren?"
Sarah macht sich am alten Körper wieder an die Arbeit und schüttelt ungläubig den Kopf, jedoch nicht wegen des Zustand des betagten Nikolausleibes, sondern wegen: "Und du willst wirklich, dass mein Papa dein Nachfolger wird?"
"Warum nicht?", schmunzelt Niko. "Er hat schon vieles, was man in meiner Branche braucht: einen gediegenen, ansehnlichen und doch nicht zu gewaltigen Bart, Erfahrung mit Lichtern für jede Stimmungslage und jeden Zweck, etwas Mürrisches, Launenhaftes für ein gescheites HoHoHo zum Beispiel und nicht zu vergessen: Ein großes Herz am rechten Fleck, nee, am linken… na ist ja auch egal. Das nächste Jahr könnte er ja bereits als Nikolauspraktikant gemeinsam mit mir durch die Nacht streifen und sich schon mal mit Knecht Ruprecht anfreunden. Und du kannst das Jahr über ein wenig darauf schauen, dass dein Papa nicht zu dick wird, sonst hilft am Ende auch kein Wunder mehr.“
Sarah muss lachen. "Stimmt könnte ich. Aber ob Mama davon begeistert sein wird, wenn Papa dann jedes Jahr am 5. Dezember die halbe, bei seiner Arbeitsweise wahrscheinlich die ganze, Nacht unterwegs ist?"
Der Nikolaus zwinkert: "Oh, ich denke, sie wird sich daran gewöhnen. Vielleicht kannst du ihr ja ein paar Entspannungsübungen beibringen?" „Genau, genau, da besteht in der Tat sowieso schon Grundbedarf.“ Nachdem sich die Therapiestunde bereits dem Ende nähert beendet Sarah die Behandlung: „Also, das war`s für heuer. Im Vorraum wartet schon der nächste Patient, ein Kind, Niko, das wird doch nicht das Christ…“ „nein nein lacht der Nikolaus und lobt die tolle Behandlung bis in den Himmel: „Danke Sarah, mein Engel. Denk dran: Papa - BMI, Bart nicht zu kurz, wenn er lacht nicht hihihi, sondern hohoho und nächstes Jahr erst einen Tag vor Nikolaus Bescheid geben, was ihn erwartet, sonst ist er schon das ganze Jahr 2025 über nervös.“ Herr Laus ächzt sich aus dem Behandlungsstuhl und verlässt nach einem väterlichen „Servus“ die Praxis.
Draußen wartet schon ein toller Schlitten mit Kunstledersitzen und satten sechs RS – RentierStärken ;-)
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