WeihnachtsGeschichten

Lindas Weihnachtsgeschenke

Linda ist gerade mal zwei Jahre alt, mit Augen so groß wie Teetassen und einem Herz so warm wie frisch gebackene Plätzchen. Dieses Jahr würde etwas ganz Besonderes sein, denn zum ersten Mal in ihrem kurzen Leben macht sich Linda daran, für alle, die sie ganz besonders mag, Weihnachtsgeschenke zu suchen. Oh, was für eine aufregende Aufgabe das ist!

Mit der Entschlossenheit eines kleinen Generals marschiert Linda durch das Haus. ihre Windel knarzt und raschelt bei jedem Schritt und - so seltsam es auch erscheint – das Geräusch ist heute ungewohnt anderes, es hat irgendwie einen besonderen, feierlichen Klang.

Lindas Mission ist klar: Für jeden, den sie ins Herz geschlossen hat, soll das perfekte Geschenk gefunden werden.

Zuerst denkt sie an Papa. Was kann sie ihm nur schenken? Linda erinnert sich an den Tag, als Papa ihr wackeliges Schaukelpferd reparierte. Mit einem triumphierenden "Aha!" greift sie nach ihren bunten Wachsmalkreiden und zaubert liebevoll ein großes Strichmännchen mit einem überdimensionalen Schraubenzieher auf ein bereits übervolles Blatt Papier. "Papa reparieren!", verkündet sie stolz.

Für Mama braucht es etwas Besonderes. Linda malt ein kleineres Strichmännchen mit wilden Locken, die in alle Richtungen abstehen. "Mama schön!", kicherte sie, während sie noch ein paar extra Locken hinzufügt, bis das Papier fast schwarz ist.

Ihr kleiner Bruder, kaum vier Monate alt, ist eine echte Herausforderung. Was schenkt man jemandem, der den ganzen Tag nur schläft, isst und... nun ja, sonst was macht. Linda entscheidet sich für etwas Praktisches: eine ihrer alten, kleinen Socken. "Felix warm!", erklärt sie feierlich, als sie das bunte Söckchen als Geschenk reserviert.

Für Opa hat Linda auch etwas ganz Besonderes im Sinn. Sie übt stundenlang vor dem Spiegel, bis sie das breiteste, fröhlichste Lachen zustande bringt, das die Welt je gesehen hat. "Opa freuen!", strahlt sie, fest entschlossen, dieses Lächeln bis Weihnachten aufzuheben. Oma soll ein Lied bekommen. Immer wieder summt Linda eine neue Melodie, die sie prompt wieder vergisst. Aber das macht nichts, denn wie aus dem nichts fällt ihr wie hergeflogen eine neue ein. "Oma singen!", verkündete sie fröhlich, während sie eine Tonfolge anstimmte, die sich verdächtig nach dem anhört, was Oma ihr schon so oft vorgesungen hat.

Die Tanten stellen Linda vor ein Problem. Diese liebt sie nämlich so sehr, dass ein gewöhnliches Geschenk einfach nicht ausreicht. Nach langem Nachdenken (für Linda ist eine Minute schon eine halbe Ewigkeit) hat sie die perfekte Idee: Sie würde ihnen einen gemeinsamen Regenbogen schenken! Nun muss sie nur noch einen fangen..., ok, müssen halt die Buntstifte dafür herhalten. Ha, da ist ja auch noch ein Stückchen weißer Karton.

Für die Katzen Henry und Michael hat Linda auch eine geniale Idee. Sie nimmt Tücher aus Mamas Putzschrank und ein auf dem Sofa vergessenes Wollknäuel, das Tante Hannah bei ihrem letzten Besuch bei ihnen vergessen hat. Wie wundervoll rosa und weich das ist, perfekt um daraus kuschelige Nester zu bauen. "Miau schlafen!", erklärte sie fachkundig, während sie die Putzlappen und die Wolle eifrig zusammenwurschtelt, was dann zum Schluss eher abstrakten Kunstwerken als Katzenbettchen gleicht.

Aber Linda ist noch nicht fertig. Sie hat zwei ganz besondere Geschenke aufbewahrt. Von ihrem kleinen Basteltisch holt sie stolz einen zerknitterten Zettel. "Sonne!", ruft sie aufgedreht. Es ist ein Sonnenstrahl, den sie im Herbst "gesammelt" hat - in Wirklichkeit aber eine liebevolle Kritzelei gelber Striche auf einem Stück Papier: in Lindas Augen der hellste Sonnenstrahl der Welt.

Und dann ist da noch die winterliche Schneeflocke. Linda ist, als es letzte Woche geschneit hatte, stundenlang vor der gläsernen

Terrassentür gestanden und hat gewartet, bis die perfekte Flocke vorbeischwebte. Gott sei Dank, meint Linda, hat sie schon gelernt, selber Türen zu öffnen, sonst könnte sie ja gar nicht in den Garten laufen. Mit der Präzision eines Chirurgen (nun ja, eines sehr kleinen, etwas tollpatschigen Chirurgen) hat sie versucht, die Flocke einzufangen, bevor sich diese zur weißen Pracht am Gartenboden dazugesellen konnte. Das Ergebnis war ein feuchter Fleck auf ihrer Handfläche, aber für Linda war es die schönste Schneeflocke – gewesen - , die je gefallen war. Vorsichtshalber hat sie dann doch noch einen Schneeball mit ihren Händchen geformt und anschließend ins Gefrierfach gelegt. Wie gesagt, Türen öffnen hat sie ja schon gelernt, auch Kühlschranktüren ;-)

Nun hat Linda also für jeden ein Geschenk für Weihnachten gefunden. Papa bekommt einen Riesen-Schraubenzieher (zumindest auf dem Papier), Mama wird zur Locken-Königin gekrönt, der kleine Bruder würde nie wieder kalte Füße haben, wenigstens einer bleibt warm, Opa wird in Gedanken schon mal mit dem breitesten Lächeln der Welt konfrontiert, Oma bekommt, zumindest eine Zeit lang, ein täglich wechselndes Konzert, die Tanten einen Regenbogen. Vielleicht läuft dieser doch eher in eine fantasievolle Geschichte hinaus, die Linda plappernd ihren geliebten Tanten erzählen wird, damit nicht so viele etwas Gemaltes bekommt. Auf die Katzen wartet ein Putzlappen- und Wollknäuelpalast. Dazu kommen noch der auf einem Blatt Papier „konservierte“ Sonnenstrahl und die eingefangenen Schneeflocken in Form eines tiefgefrorenen kleinen Schneeballs.

Linda steht inmitten ihrer Geschenke, die Hände voller Zeichnungen, zerknitterter Zettel und einer bunten Socke. Mit der Weisheit eines Kindes, das die wahre Bedeutung von Weihnachten verstanden hat, verkündet sie: "Alle lieb haben!"

Und so, mit einem Herzen voller Liebe und Händen voller ungewöhnlicher Geschenke, ist Linda bereit für Weihnachten. Es würde sicherlich ein Fest werden, das keiner so schnell vergessen wird - vermutlich bleibt die Erinnerung ein Leben lang in den Gedanken der so liebevoll Beschenkten. Das größte Geschenk aber hat sich Linda durch die aufregende Geschenksuche schon selber gemacht, auch wenn sie es mit ihren zwei Jahren noch gar nicht ahnt.